zur CD "Inanna":

Zitat aus: "Die tanzende Göttin"  Heide Göttner –Abendroth - Prinzipien einer matriarchalen Ästhetik Neuauflage; 2001;München. (S. 144- 146):

„In dem musikalischen Zyklus „Inanna“ geht die Österreicherin Karin Hackl, hier zugleich Komponistin und Sängerin, noch einen Schritt weiter: Nun erscheinen nicht nur die Priesterinnen der Göttin mit ihren segnenden, beschwörenden Handlungen in den neuen Klangbildern, sondern die Göttin selbst. Mit ihrer 1997 gegründeten Musikgruppe „Visions of Kaya“ inszeniert Karin Hackl die großartige Mythe von Inannas Abstieg in die Unterwelt, die im dritten Jahrtausend v.u.Z. in Mesopotamien auf Tontafeln aufgezeichnet wurde.

Inanna, deren Kult in den sumerischen Städten Uruk und Akkad blühte, ist eine uralte dreifaltige Göttin des Himmels, der Erde und der Unterwelt, deren Verehrung bis weit vor die Zeit zurückreicht, als ihre Hymnen aufgezeichnet wurden. Sie ist die älteste und größte Göttin des Orients und die Vorgängerin aller späteren Göttinen dieser reichen Kulturregion.

Karin Hackl gestaltet das Wesen der Göttin, das in ihrer Mythe erhalten geblieben ist, ohne Worte allein mit ihrer ausdrucksvollen, variationsreichen Stimme – es ist reinster sakraler Gesang. Begleitet wird sie dabei, außer der Harfe, von nicht klassischen Instrumenten aus westlicher und östlicher Folklore Musik. (z.b. orientalischen und indischen Trommeln, Gongs u.a., Anm. Karin Hackl)

Der Gesangszyklus beginnt mit der sehnsuchtsvollen Anrufung der Göttin „Inanna“ , schon hier ist die Atmosphäre so sicht, daß sie in eine andere Zeit, eine andere Kultur entführt. Das zweite Stück „Vollmond“ wird von Gesang und orientalischen Trommeln begleitet, denn der Alte Orient ist der Raum der Kultur Inannas.

Spuren der Feier der weiblichen Sinnlichkeit haben sich im arabischen Frauengesang erhalten, sie verweisen zurück auf die ehemals verehrte und gepriesene Sinnlichkeit der Göttin. Das Symbol dafür ist der Vollmond, der Inanna zuglich als die Göttin des Himmels zeigt.

Nachdem Inannas Erotik und Macht als Göttin zweier Regionen auf diese Weise hörbar geworden sind, beginnt ihr Abstieg in die Unterwelt mit dem „Lockruf“, der schwebenden Stimme aus dem Großen Unten, jener dritten Region, welche die Göttin noch nicht kennt. Nun steigt die Göttin in denn geheimnisvollen Abgrund hinab, und genauso steigt in „Abstieg“ der Gesang langsam in die Tiefe.

Selbst wenn Inannas Stimme, in der Höhe gleitend, ihre Lichtqualität noch zu wahren versucht, zieht sie der absteigende Klang der Instrumente hinunter. Das geschieht zu jener Jahreszeit, wenn die grüne Fruchtbarkeit des Landes von Sumer in der Gluthitze des Sommers verdorrt, das ist im heißen Orient die Todeszeit. Denn Inanna verkörpert auch das Land.

„In der Unterwelt“ tönen dumpfer Donner, zischende Geräusche, trockenes Rasseln, erst regellos, dann in harten Rhythmen, die in einen gespenstischen Tanz münden.

Er bereitet das Erscheinen der sumerischen Unterweltsgöttin Ereschkigal vor und spiegelt deren Welt. In „Ereschkigal“ hören wir sie dann selbst, im gellenden Vogelkrächzen, mit dunkler Stimme, mit der sie sich bei ihrem schweren, chthonischen Tanz des Todes begleitet.

Ihre Macht liegt im Gesang, in den monoton wiederkehrenden, die Töne verzerrenden Heia-und Hoho-Rufen, den unerbittlichen Rufen des Todes.

Nun erlischt Inannas Licht, ihr Gesang verstummt. Die drei folgenden Stücke sind Soli für je ein Instrument. Der „Dunkelmond“ tötnt als dumpfer Gong, es herrscht lichtlose Schwärze.

„Der Tod“ ist vernehmbar als zarte, irisierende Klangschalen, konzentrierte Töne aus einer anderen Sphäre. Die Göttin selbst taucht damit ein in das Mysterium des Todes, wie ihr Gestirn, der Mond. Danach eilen die helfenden Spirits herbei, jene winzigen Wesen, die noch durch die Schlüssellöcher der Tore der Unterwelt schlüpfen können. In hohen, ungeregelten Harfentönen ist ihr tastender, suchender Flug zu hören, bis sie die tote Göttin finden, um ihr das Wasser des Lebens zu bringen.

In „Lebenswasser“ rauscht hörbar der Regen nieder, der das staubtrockene Land Sumer und damit die Göttin Inanna zu neuem Leben erweckt; in der Mythe gießen es die schlauen Spirits über den Leichnam aus. Die Göttin erwacht und erhebt ihre Stimme, hell und fließend, wie das Lied einer Wasserfrau im Regen.

Ihr Licht bricht in heiteren Rhythmen und hellen Klängen durch, und ihr melodiös darüber schwebender Gesang drückt gelassene Freude und tiefe Lebenslust aus. Durch die Verwandlung, die sie in der Unterwelt an sich selbst erfuhr, hat sie nun auch die Macht und Weisheit dieser Region ergriffen und ist die unvergängliche Göttin aller drei Regionen geworden.

In tief empfundener Identifikation mit der Großen Göttin bringt Karin Hackl allein durch das Medium Stimme und Klang Inanna und ihren Mysterien-Weg wieder zur Erscheinung. Diese Musik ist alles andere als irgendeine „Vertonung“, sie ist sakraler Gesang im vollen Wortsinn.

Sie weist über die Gattung „Musik“ weit hinaus. Und eigentlich würde sie an einen entsprechenden Ort und in einen entsprecheneden symbolischen Zusammenhang gehören, etwa in einen Tempel und in ein Fest der matriarchalen Göttin. Diese Musik gehört zur neuen Ritualkunst und ist Teil der umfassend gedachten Rituale, die von Frauen heute entwickelt und gestaltet werden.“

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